Das prächtige Herz - ein Märchen

 

 

Es war einmal ein Prinz, stolz und keck. Nichts wollte er sich sagen lassen, nichts, was er nicht besser zu wissen, zu können glaubte. Die Welt war ihm untertan, das war seine Welt, seine Bühne. So dachte er.

 

In seinem prächtigen Schloss, auf seinem prächtigen Balkon, eingefasst von Blumenzier, möbliert mit goldenen Stühlen, sass der junge eitle Prinz und genoss die Wärme der Sonne. Nur für ihn schien sie, so glaubte er. Eine Heerschar von Dienern kümmerte sich um all seine Bedürfnisse, seine Wünsche, sie konnten gar nicht ausgefallen genug sein, wurden erfüllt. Ein prachtvolles Leben, ein prachtvoller Prinz. Das Leben war herrlich für den jungen übermütigen Prinzen. Wagte es jemand ihm zu widersprechen oder auch nur anzudeuten, dass so mancher Wunsch schwierig umzusetzen sei, dann verwies er diesen aus seiner Umgebung. Eine höhere Strafe könnte es gar nicht geben. So glaubte er. Nun kam es, dass er einen wirklich ausgefallenen Wunsch hatte: Er, der so prächtig, er der alles, was er anfasste zu Gold werden liess, er wollte eine Frau finden, die seiner würdig war. Aber wo findet man so ein Prachtwesen? Alle Prinzessinnen, die er kannte, alle Töchter der mächtigsten Herrscher aus den Königreichen der Umgebung, waren nicht aussergewöhnlich, nicht wunderschön, nicht prächtig genug. Wo findet man so ein herrliches Mädchen, so ein aussergewöhnliches Wesen? Der Prinz beschloss also nach ihr zu suchen. Er verliess sein Schloss, begleitet von einer Unzahl an Dienern, tauchte in die wirkliche Welt ein, zum ersten Mal, durchreiste alle Winkel seines Königreiches und fand niemanden, der seinen Ansprüchen genügt hätte. Er wusste natürlich, dass sie nicht seines Standes sein konnte, wenn er in dieser schmutzigen echten Welt nach ihr suchen musste. Er war ja ein bescheidener junger Mann. So glaubte er. Es kam wie es kommen musste: er fand seinen Schatz nicht. Selbst die schönsten Mädchen, die prachtvollsten, waren seinen Ansprüchen nicht gewachsen.

 

Er las einst, vor langer Zeit, in einer Zeit, als er noch las, er wusste ja schliesslich schon alles, dass es weit im Norden seines Reiches eine Quelle gibt, die echte Schönheit offenbart. Er dachte, sie zeige ihm den Weg zu seinem gesuchten prachtvollen Mädchen. So beschloss er dorthin zu ziehn, samt seinem prachtvollen Tross. Dort angekommen erblickte er die Quelle der Erkenntnis, sah in sie, sah sich selbst. Nein, er verliebte sich nicht in sich selbst, er erschrack, er erstarrte vor Scham. Dies hässliche Ungeheuer ist er also in Wirklichkeit, diese grässliche Fratze ist sein eigen? Sein wahres Gesicht hatte er gesehn, seine Hässlichkeit. Sein hartes Herz, sein stolzes Herz, erwärmte, das Eis schmolz, die Bescheidenheit fragte sanft an, nahm sich ein Zimmer in seinem Herzen, liess ihn die Welt, sein Ich, neu erblicken. So reiste er zurück zu seinem Schloss, in sein prachtvolles Schloss. Die Flure, die Säle, die Zimmer, waren nun zu gross, zu kalt, zu leer. So beschloss er an jedem Wochenende ein grosses Fest in seinem Gefängnis, denn das war es mittlerweile, zu veranstalten, die Menschen wirklich kennenzulernen. Ein armes schüchternes Bauernmädchen, wunderschön und prachtvoll auf eine andere, eine herzerwärmende Weise, nahm teil an so einem Feste im Schloss des Prinzen. Sie hatte kein Prachtkleid, kein Diadem, keine goldenen Schuhe, golden war ihr Herz. Der Prinz beobachtete, wie sich dieses Mädchen schüchtern in den hintersten Winkel seines grossen Balkons setzte und einen kleinen Vogel, der von den anderen Gästen, auch von einfachen Menschen, die sich als etwas Besseres darzustellen suchten, die diesem kleinen hungrigen Geschöpf nur Ablehnung, nur Verachtung entgegenbrachten, ihre Wärme, ihr liebevolles Herz schenkte, es fütterte. Der Prinz, nun da er die Wahrheit über echte Schönheit kannte, verliebte sich augenblicklich in dieses einfache Mädchen und nahm sie zu seiner Frau. Glücklich lebten sie bis an ihr Lebensende zusammen und niemals vergass der Prinz seine hässliche Fratze, die er verwandelt in wahre Liebe. Niemals lebt Schönheit im äussren Schein, nie zog Glück in kaltes Heim, nie wärmte ein kaltes Herz, Schönheit lebt nur dort, wo das Du daheim.

 

 

 

 

Savira, die herzensgute Prinzessin – ein Märchen

 

 

Es war einmal eine wunderschöne Prinzessin. Diese lebte glücklich in einem verschlafenen, friedlichen Dorf mitten im Wald. Eines Tages geschah Wunderliches: Die Nachbarin, die jeden Tag so freundlich die Prinzessin, Savira war ihr Name, grüsste, war verschwunden. Wie alle Tage ging sie in den Wald um ein paar Kräuter zu sammeln. So auch am Tage zuvor. Jedesmal wenn sie wiederkehrte, schenkte sie Savira ein kleines Sträusschen Blumen, die die Alte sorgsam auf einer Wiese pflückte. Die Prinzessin freute sich immer so sehr auf diese duftende Pracht. Nur dieses Mal war alles anders. Kein lieber Gruss am Morgen, kein Sträusschen. Nichts war zu sehn von der Nachbarin. Sie blieb verschwunden. Savira wunderte sich, dachte sich noch nichts dabei. Wahrscheinlich war die alte Frau krank geworden. Also beschloss sie sie zu besuchen um sie ein wenig aufzumuntern. Ihr warmes Herz trieb sie zum Häuschen der Alten und sie klopfte an ihre Tür: "Ist jemand zu Hause, geht es Dir gut? Ich mache mir Sorgen", fragte die Prinzessin mit leiser Stimme. Keine Antwort. Savira versuchte die Tür zu öffnen, sie war unversperrt. Niemand war zu Hause.

 

Am nächsten Tag beschloss die Prinzessin, da die Alte noch immer nicht zu finden war, im Wald Ausschau zu halten um zu ergründen, was geschehen war. Also ging sie in den dunklen, den bedrohlichen Wald. Sie scheute sich in das Dickicht zu gehn. Aber sie fasste sich ein Herz und ging die Nachbarin suchen. Aber wo sollte sie anfangen? Ohne den Weg zu kennen, ohne zu wissen wohin sie ging, was sie erwarten würde, verirrte sie sich immer tiefer im Wald, Dunkelwald genannt. Die Nachbarin blieb verschwunden, keine Spur war zu finden. Der Tag neigte sich dem Abend zu, das Licht entschwand. Einsam und frierend stand sie im dunklen Wald, im Dunkelwald. Die Nacht liess die Zuversicht der Prinzessin schwinden. Kein Prinz, der sie retten würde, keine Menschenseele, die sie fand. Auch sie verschwunden im tiefen Wald, im dunklen Wald, Dunkelwald genannt.

 

Was geschah mit diesen beiden herzensguten Menschen? Warum kehrten sie nie wieder? Ein Geheimnis von alter Zeit. Niemand sie fand, niemals kehrten sie zurück. Die Hoffnung bleibt, lebt bis heute, dass doch ein ferner Prinz sie fand, dass kein Leid geschah.